
SELBST/BILDER
Projekt I.: HipHop
AHA als Zusammenarbeit mit Hamburger Jugendlichen
von Anke Haarmann
AHA als Zusammenarbeit mit:
Robert, Bennard, Chris, Marius, Sabrina; Gökhan, Sedat,
Orhan, Tomi, Eren, Marcel, Spyro, Serdar, Sami, Nerecho, Sinan,
Emre, Murat, Patrizia, Jenny, Nürchen; Maja, Michaela,
Benja
Hamburg 1997/98
Es gibt verschiedene Möglichkeiten dieses Projekt über
HipHop zu beschreiben. Es hat in Hamburg St. Pauli in unregelmäßig
Arbeitseinheiten und mit verschiedenen Personengruppen stattgefunden
und wurde zur konzeptuellen Basis für eine anvisierte
Projektreihe. Die theoretischen Hintergründe, gesellschaftlichen
Einschätzungen und ästhetischen Entscheidungen spielen
eine ebenso bedeutende Rolle, wie die praktischen Zusammenarbeit
mit den Jugendlichen.
Ich werde bei den theoretischen Hintergründen beginnen,
um zur praktischen Zusammenarbeit zu kommen, denn die theoretische
Auseinandersetzung hat die konzeptuelle Grundlage geliefert,
mit der es überhaupt sinnvoll wurde, konkret Menschen
anzusprechen und zu einer praktischen Zusammenarbeit aufzufordern.
Der Ausgangspunkt war die These, daß das individuelle
Selbst als ein Knoten im Netzwerk umgebender Einflüsse
angesehen werden muß. Dieses Selbst ist das Produkt
der herrschenden kulturellen Normen, an denen es sich spiegelt,
sich bestätigt oder abgestoßen fühlt und im
Prozeß der Auseinandersetzung mit ihnen ein Selbstbild
entwirft.Dieser Prozeß der Bildung des Selbst in der
Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichem Umfeld ist auch
von ästhetischer Art. Das Verhältnis von Individuum
und Gesellschaft ist auch ein Verhältnis von Bildern,
genauer von öffentlichen Bildern, an denen sich kulturelle
Normen ästhetisch niederschlagen. An dieser Stelle kann
die Kunst als Produzentin von Bildern und Initiatorin von
Situationen ansetzen und den theoretischen Topos in der konkreten
Arbeit mit einzelnen Personen praktisch prüfen. Dabei
geht es um die Frage, in welcher Form sich die kulturellen
Codes auf das individuelle Selbst applizieren: wie genau die
Schnittstelle zwischen Selbstbildern und Vorbildern vermittels
öffentlicher Bilder funktioniert und welche Totalität
die umgebenden Einflüsse entfalten. Es geht aber auch
um die Frage nach dem individuellen Einsatz, den der Einzelne
in das Verhältnis von Produktion und Reproduktion von
Bildern einzubringen vermag.
Nicht alleine als passive Rezipienten, sondern auch als aktive
Produzenten ihres Selbst suchen sich die Einzelnen im Spektrum
der zeitgenössischen Bildangebote eine spezifische Projektionsfläche,
an der sie sich bestätigen, spiegelt und orientieren.
Mit der Projektreihe Selbst/Bilder geht es um dieses Verhältnis
von kulturellen Codes und individuellen Eigenheiten; um die
gesellschaftliche Normierungsmacht auf der einen Seite, die
das Selbstbild der Einzelnen vorzeichnet, und den persönlichen
Eigensinn, der auf der anderen Seite den Vorbildern entgegensteht.
Mit diesem Konzept sind bestimmte Entscheidungen für
die künstlerische Arbeit schon gefallen. Thematisch stehen
gesellschaftliche Bereiche im Zentrum der Aufmerksamkeit,
die das zeitgenössische Selbstbild prägen und über
öffentliche Bilder vermittelt werden. Formal rücken
mit den öffentlichen Bildern die zeitgenössischen
Medien in den ästhetischen Mittelpunkt.
Die künstlerische Praxis begann mit der Entscheidung
für den thematischen Schwerpunkt HipHop und führte
zur Arbeit mit Jugendlichen. HipHop ist Popkultur, nicht alleine
als Musikrichtung, sondern als Lebensstil. Sie prägt
das Selbstbild von Jugendgruppen, die mit HipHop und Rapmusik
den politischen und ästhetischen Eigensinn schwarzer
Ghettomusik verbinden und für ihr eigenes Selbstverständnis
fruchtbar zu machen versuchen. HipHop steht für den besonders
brisanten kulturellen Code, mit dem gerade das Widerständige
gesellschaftlicher Randgruppen als ästhetische Ikone
zum allgemeinen Muster avanciert und sich als Muster auf das
Selbstbild der einzelnen Individuen projiziert. Der Eigensinn
von HipHop und Rapmusik, der die weiße, amerikanische
Hegemonie in aggressiven Texten angeprangert und die Kulturindustrie
im Sampling ausbootet, ist auf dem Popmarkt zum Image erstarrt.
Aber diese Image-Bilder sind gerade deswegen so attraktive
Vor-Bilder, weil sie den Aspekt des Eigensinns in der Ästhetik
verkörpern. Ästhetisch eignet sich der einzelne
Konsument und Rezipient das Widerständige der HipHopkultur
in Form von Musik und Kleidung, Gestik und Gehabe, Pose und
Selbstdarstellung an und ästhetisch lebt er es an sich
aus.
Diese Geste der ästhetischen Aneignung stand im Mittelpunkt
der konkreten Zusammenarbeit mit sogenannten jugendamtbetreuten
Kinder, einer Türkische Gang und Polnisch-Deutschen
Mädchen. Selber zum Klischee geronnen, greifen
diese Jugendlichen auf den amerikanischen HipHop als Lebensstil
und identitätsstiftenden Faktor zurück. Sie sind
HipHoper der Geste und der Kleidung nach, ohne selber Musik
zu machen oder überhaupt Rap zu hören. Die Projektarbeit
war darauf ausgerichtet, die Medien vermittelten Vorbilder
dieser Jugendlichen auf individueller Ebene mit ihnen gemeinsam
bildlich zu reproduziert. In Musikvideos, Fotostrecken und
Comikserien sollten die standartisierten Muster der Vorbilder
in der individuellen Selbstdarstellung der Projektteilnehmer
inszeniert werden.
Die Fotostrecke mit den Jugendlichen gibt die Posen und Outfits
ihrer Pophelden wieder. Im Musik-Video "descrete images"
zeigt die türkische Gruppe Breakdance-Formationen und
die Bilder erzählen zugleich Dramen von Kampf und Selbstbehauptung.
Liebe und Intrigen bilden das dramatische Zentrum des Video
"she is a star", in dem die Mädchen zum Ausdruck
bringen, was die Musikindustrie an weiblichen Themen vorgesehen
hat. In der Zusammenarbeit mit den Mädchen stellt sich
heraus, das der thematische Schwerpunkt von HipHop auf das
Bild vom weiblichen Körper verschoben werden mußte.
Eine Fotostrecke bildet die Vorlage für Comiczeichnungen,
in denen die Schönheit und Hingabe der Mädchen nach
Maßgabe ihrer Ideale 'auf die Linie' gebracht wird.
In diesen Bildprodukten sind die Jugendlichen nach dem Vorbild
ihrer Helden und Heldinnen die eigentlichen Protagonisten.
Sie sind auf diese Weise bildlich durch ihre Vorbilder gespiegelt
und treten ihrer Utopie ästhetisch gegenüber. Für
den Einzelnen, der sich in diesen Produkten wiederfindet,
sprechen die Bilder von der Wahrheit seines imaginären
Selbst. Ein wesentlicher Aspekt der Projektarbeit sind von
daher nicht die Bilder als Artefakte, sondern die Rückkopplungsschleife,
vermittels derer die Projektteilnehmer ihre Produkte
als Trophäen zurückerhalten.Mit dieser Strategie
der Bestätigung geht es aber um mehr als die bloße
Reproduktion und Dokumentation vonstereotypen Vorbildern.
Es geht um den Bruch, der durch die Idealisierung hindurch
auf die konkrete Realität der Projektteilnehmer verweist.
Die Medien Fotografie, Video oder Comic knüpfen an die
Wahrnehmungsgewohnheiten der Projektteilnehmer an und die
Ikonografie der Bilder wiederholt medienästhetische Standards.
Zugleich aber sind diese Gewohnheiten und Standards durch
die individuelle Phantasie und spezifische Wirklichkeit der
Jugendlichen gefiltert. Mit dieser Ambivalenz geht es darum,
das Verhältnis einzufangen, in dem die stereotypen Vorbilder
sich an den individuellen Selbstbildern spiegeln und zugleich
brechen. Es geht darüber hinaus um das Potential, das
durch die gelungene Selbstbestätigung als Eigeninitiative
freigesetzt werden kann. Jenseits der passiven Aneignung sind
im Laufe des Projekts Momente aufgetreten, in denen die Projektteilnehmer
begannen, aktiv zu werden, sich an den Inszenierungen zu beteiligen,
Ideen zu entwickeln, sich und ihre Ideale zu thematisieren
und die Gestaltung dieser Ideale in die eigene Hand zu nehmen.
Diese Umwendung des Passiven ins Aktive, durch die affirmative
Bestätigung hindurch, wurde zu einem der Ziele des Projekts
der Zusammenarbeit. Hier stellt sich die Frage nach dem Gelingen.
Eine zentrale und zugleich schwierige Frage, weil der 'Erfolg'
nicht meßbar ist. Was, außer der augenscheinlichen
Begeisterung oder offensichtlichen Enttäuschung im Anblick
der Bilder, dokumentiert die Erfahrung der einzelnen Teilnehmer
mit diesem Projekt? Was verweist auf die Prozesse, die stattgefunden
haben. Kleine Anekdoten am Rande vermögen diese Lücke
der Beurteilung nur unzureichend zu füllen. Einige haben
begonnen selber Musik zu machen, andere haben sich einer weiteren
Zusammenarbeit verweigert. Vielleicht, weil in aufklärerischer
Absicht die 'Rückkopplungsschleife' zu dicht an die Realität
angeschlossen wurde. Der direkte Draht von der Videokamera
zum Fernsehmonitor zeigte so unmißverständlich
eine verunsicherte Gruppe von Jugendlichen auf dem Sofa, wie
es gerade nicht der Realität des Selbstbildes entsprach.Was
bleibt, ist die konkrete Erfahrung, die ich selber als Initiatorin
in der Zusammenarbeit gemacht habe, die in Projektberichten
vermittelt und durch die Bilder untermalt werden kann. Diese
Berichte versuchen im Prozeß der Erzählung und
Reflexion und mit den Mitteln des Gesprächs die Arbeit
als Prozeß der ästhetischen Auseinandersetzung
zu dokumentieren und in ihrer Bedeutung als Kunstproduktion
zu hinterfragen.
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