TETRAPAK
PLUS EINS

Projektberichte / Texte

 

 
Tetra Pak plus eins
ein Diskussionszusammenhang
> Selbst / Bilder Projekt I. HipHop
von Anke Haarmann

Kulturelle Produzenten
von Jelka Plate und Malte Willms
  www.aktuelle-kamera.org
(Version 0.1)
von Ulf Treger
  Zu einer nicht-ästhetischen Kunstphilosophie (Ausschnitt)
von Harald Lemke
   
 
    Tetrapak | April 2001
 

Koulia und Bougy

SELBST/BILDER
Projekt I.: HipHop
AHA als Zusammenarbeit mit Hamburger Jugendlichen

von Anke Haarmann

AHA als Zusammenarbeit mit:
Robert, Bennard, Chris, Marius, Sabrina; Gökhan, Sedat, Orhan, Tomi, Eren, Marcel, Spyro, Serdar, Sami, Nerecho, Sinan, Emre, Murat, Patrizia, Jenny, Nürchen; Maja, Michaela, Benja

Hamburg 1997/98

Es gibt verschiedene Möglichkeiten dieses Projekt über HipHop zu beschreiben. Es hat in Hamburg St. Pauli in unregelmäßig Arbeitseinheiten und mit verschiedenen Personengruppen stattgefunden und wurde zur konzeptuellen Basis für eine anvisierte Projektreihe. Die theoretischen Hintergründe, gesellschaftlichen Einschätzungen und ästhetischen Entscheidungen spielen eine ebenso bedeutende Rolle, wie die praktischen Zusammenarbeit mit den Jugendlichen.

Ich werde bei den theoretischen Hintergründen beginnen, um zur praktischen Zusammenarbeit zu kommen, denn die theoretische Auseinandersetzung hat die konzeptuelle Grundlage geliefert, mit der es überhaupt sinnvoll wurde, konkret Menschen anzusprechen und zu einer praktischen Zusammenarbeit aufzufordern.

Der Ausgangspunkt war die These, daß das individuelle Selbst als ein Knoten im Netzwerk umgebender Einflüsse angesehen werden muß. Dieses Selbst ist das Produkt der herrschenden kulturellen Normen, an denen es sich spiegelt, sich bestätigt oder abgestoßen fühlt und im Prozeß der Auseinandersetzung mit ihnen ein Selbstbild entwirft.Dieser Prozeß der Bildung des Selbst in der Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichem Umfeld ist auch von ästhetischer Art. Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist auch ein Verhältnis von Bildern, genauer von öffentlichen Bildern, an denen sich kulturelle Normen ästhetisch niederschlagen. An dieser Stelle kann die Kunst als Produzentin von Bildern und Initiatorin von Situationen ansetzen und den theoretischen Topos in der konkreten Arbeit mit einzelnen Personen praktisch prüfen. Dabei geht es um die Frage, in welcher Form sich die kulturellen Codes auf das individuelle Selbst applizieren: wie genau die Schnittstelle zwischen Selbstbildern und Vorbildern vermittels öffentlicher Bilder funktioniert und welche Totalität die umgebenden Einflüsse entfalten. Es geht aber auch um die Frage nach dem individuellen Einsatz, den der Einzelne in das Verhältnis von Produktion und Reproduktion von Bildern einzubringen vermag.

Nicht alleine als passive Rezipienten, sondern auch als aktive Produzenten ihres Selbst suchen sich die Einzelnen im Spektrum der zeitgenössischen Bildangebote eine spezifische Projektionsfläche, an der sie sich bestätigen, spiegelt und orientieren.

Mit der Projektreihe Selbst/Bilder geht es um dieses Verhältnis von kulturellen Codes und individuellen Eigenheiten; um die gesellschaftliche Normierungsmacht auf der einen Seite, die das Selbstbild der Einzelnen vorzeichnet, und den persönlichen Eigensinn, der auf der anderen Seite den Vorbildern entgegensteht. Mit diesem Konzept sind bestimmte Entscheidungen für die künstlerische Arbeit schon gefallen. Thematisch stehen gesellschaftliche Bereiche im Zentrum der Aufmerksamkeit, die das zeitgenössische Selbstbild prägen und über öffentliche Bilder vermittelt werden. Formal rücken mit den öffentlichen Bildern die zeitgenössischen Medien in den ästhetischen Mittelpunkt.

Die künstlerische Praxis begann mit der Entscheidung für den thematischen Schwerpunkt HipHop und führte zur Arbeit mit Jugendlichen. HipHop ist Popkultur, nicht alleine als Musikrichtung, sondern als Lebensstil. Sie prägt das Selbstbild von Jugendgruppen, die mit HipHop und Rapmusik den politischen und ästhetischen Eigensinn schwarzer Ghettomusik verbinden und für ihr eigenes Selbstverständnis fruchtbar zu machen versuchen. HipHop steht für den besonders brisanten kulturellen Code, mit dem gerade das Widerständige gesellschaftlicher Randgruppen als ästhetische Ikone zum allgemeinen Muster avanciert und sich als Muster auf das Selbstbild der einzelnen Individuen projiziert. Der Eigensinn von HipHop und Rapmusik, der die weiße, amerikanische Hegemonie in aggressiven Texten angeprangert und die Kulturindustrie im Sampling ausbootet, ist auf dem Popmarkt zum Image erstarrt. Aber diese Image-Bilder sind gerade deswegen so attraktive Vor-Bilder, weil sie den Aspekt des Eigensinns in der Ästhetik verkörpern. Ästhetisch eignet sich der einzelne Konsument und Rezipient das Widerständige der HipHopkultur in Form von Musik und Kleidung, Gestik und Gehabe, Pose und Selbstdarstellung an und ästhetisch lebt er es an sich aus.

Diese Geste der ästhetischen Aneignung stand im Mittelpunkt der konkreten Zusammenarbeit mit sogenannten ‘jugendamtbetreuten Kinder’, einer ‘Türkische Gang’ und ‘Polnisch-Deutschen Mädchen’. Selber zum Klischee geronnen, greifen diese Jugendlichen auf den amerikanischen HipHop als Lebensstil und identitätsstiftenden Faktor zurück. Sie sind HipHoper der Geste und der Kleidung nach, ohne selber Musik zu machen oder überhaupt Rap zu hören. Die Projektarbeit war darauf ausgerichtet, die Medien vermittelten Vorbilder dieser Jugendlichen auf individueller Ebene mit ihnen gemeinsam bildlich zu reproduziert. In Musikvideos, Fotostrecken und Comikserien sollten die standartisierten Muster der Vorbilder in der individuellen Selbstdarstellung der Projektteilnehmer inszeniert werden.
Die Fotostrecke mit den Jugendlichen gibt die Posen und Outfits ihrer Pophelden wieder. Im Musik-Video "descrete images" zeigt die türkische Gruppe Breakdance-Formationen und die Bilder erzählen zugleich Dramen von Kampf und Selbstbehauptung. Liebe und Intrigen bilden das dramatische Zentrum des Video "she is a star", in dem die Mädchen zum Ausdruck bringen, was die Musikindustrie an weiblichen Themen vorgesehen hat. In der Zusammenarbeit mit den Mädchen stellt sich heraus, das der thematische Schwerpunkt von HipHop auf das Bild vom weiblichen Körper verschoben werden mußte. Eine Fotostrecke bildet die Vorlage für Comiczeichnungen, in denen die Schönheit und Hingabe der Mädchen nach Maßgabe ihrer Ideale 'auf die Linie' gebracht wird.

In diesen Bildprodukten sind die Jugendlichen nach dem Vorbild ihrer Helden und Heldinnen die eigentlichen Protagonisten. Sie sind auf diese Weise bildlich durch ihre Vorbilder gespiegelt und treten ihrer Utopie ästhetisch gegenüber. Für den Einzelnen, der sich in diesen Produkten wiederfindet, sprechen die Bilder von der Wahrheit seines imaginären Selbst. Ein wesentlicher Aspekt der Projektarbeit sind von daher nicht die Bilder als Artefakte, sondern die ‘Rückkopplungsschleife’, vermittels derer die Projektteilnehmer ihre ‘Produkte’ als Trophäen zurückerhalten.Mit dieser Strategie der Bestätigung geht es aber um mehr als die bloße Reproduktion und Dokumentation vonstereotypen Vorbildern. Es geht um den Bruch, der durch die Idealisierung hindurch auf die konkrete Realität der Projektteilnehmer verweist. Die Medien Fotografie, Video oder Comic knüpfen an die Wahrnehmungsgewohnheiten der Projektteilnehmer an und die Ikonografie der Bilder wiederholt medienästhetische Standards. Zugleich aber sind diese Gewohnheiten und Standards durch die individuelle Phantasie und spezifische Wirklichkeit der Jugendlichen gefiltert. Mit dieser Ambivalenz geht es darum, das Verhältnis einzufangen, in dem die stereotypen Vorbilder sich an den individuellen Selbstbildern spiegeln und zugleich brechen. Es geht darüber hinaus um das Potential, das durch die gelungene Selbstbestätigung als Eigeninitiative freigesetzt werden kann. Jenseits der passiven Aneignung sind im Laufe des Projekts Momente aufgetreten, in denen die Projektteilnehmer begannen, aktiv zu werden, sich an den Inszenierungen zu beteiligen, Ideen zu entwickeln, sich und ihre Ideale zu thematisieren und die Gestaltung dieser Ideale in die eigene Hand zu nehmen. Diese Umwendung des Passiven ins Aktive, durch die affirmative Bestätigung hindurch, wurde zu einem der Ziele des Projekts der Zusammenarbeit. Hier stellt sich die Frage nach dem Gelingen. Eine zentrale und zugleich schwierige Frage, weil der 'Erfolg' nicht meßbar ist. Was, außer der augenscheinlichen Begeisterung oder offensichtlichen Enttäuschung im Anblick der Bilder, dokumentiert die Erfahrung der einzelnen Teilnehmer mit diesem Projekt? Was verweist auf die Prozesse, die stattgefunden haben. Kleine Anekdoten am Rande vermögen diese Lücke der Beurteilung nur unzureichend zu füllen. Einige haben begonnen selber Musik zu machen, andere haben sich einer weiteren Zusammenarbeit verweigert. Vielleicht, weil in aufklärerischer Absicht die 'Rückkopplungsschleife' zu dicht an die Realität angeschlossen wurde. Der direkte Draht von der Videokamera zum Fernsehmonitor zeigte so unmißverständlich eine verunsicherte Gruppe von Jugendlichen auf dem Sofa, wie es gerade nicht der Realität des Selbstbildes entsprach.Was bleibt, ist die konkrete Erfahrung, die ich selber als Initiatorin in der Zusammenarbeit gemacht habe, die in Projektberichten vermittelt und durch die Bilder untermalt werden kann. Diese Berichte versuchen im Prozeß der Erzählung und Reflexion und mit den Mitteln des Gesprächs die Arbeit als Prozeß der ästhetischen Auseinandersetzung zu dokumentieren und in ihrer Bedeutung als Kunstproduktion zu hinterfragen.

 
 
 
 
 
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