
www.aktuelle-kamera.org
Version 0.1
von Ulf Treger
Im Frühjahr letzten Jahres wurde in Bremen mit der Arbeit
an einem webbasierten Projekt begonnen, daß sich mit
der fortschreitenden Entwicklung einer "Kontrollgesellschaft"
am Beispiel der Videoüberwachung auseinandersetzt.
Im Folgenden sollen einige Bedingungen dieser Projektarbeit
skizziert werden.
Zwei Aspekte spielen dabei eine hauptsächliche Rolle.
Zum einen der Versuch einer politischen Betätigung, ohne
sich dabei auf allzu abgenutzte Pfade zu beschränken.
Und zum anderen die Entwicklung einer (optischen) Plattform
unter der spezifischen Nutzung des Mediums Internet. Diese
Plattform ermöglicht eine flexible, experimentelle und
im besten Fall für die weitere Entwicklung offene Basis,
auf der sich die Produktion von Texten, Bildmaterial und anderen
Informationen zu einem als relevant empfundenen Thema abbilden
kann. Ein solcher offener Ansatz ermöglicht zudem das
Engagement verschiedener Menschen - verschieden in ihren praktischen
Fähigkeiten, ihrem Background und ihren inhaltlichen
Ansätzen - die sich für einen bestimmten Zeitraum
zusammen gefunden haben.
Bei der Planung des Projekts war es Konsens, keine Kampagne
im klassischen Sinne initiieren zu wollen. Der Ansatz des
Projekts entspringt auch einer vorsichtigen oder gar unsicheren
Einstellung gegenüber dem heutigen Sinn und Zweck gesellschaftlichen
Engagements. Nicht daß es keine ausreichende Anzahl
von Gründen gäbe, kritisch in soziale oder gesellschaftliche
Prozesse einzugreifen. Vielmehr kann von einem gewissen Verbrauch
an Perspektiven und taktischen Mitteln ausgegangen werden
- zumindest wenn eine zum Ritual oder Reflex verkommene politische
Praxis vermieden werden will. Die "Aktuelle
Kamera soll daher auch nicht eine umfassende Antwort
auf die Entwicklung liefern oder eine nicht vorhandene politische
oder kulturelle Gegenbewegung ersetzen. Sie will aber eine
Plattform entwickeln, um eine Auseinandersetzung - über
den Teilbereich Videoüberwachung hinaus - anzuregen:
Denn in naher Zukunft wird die Nutzung "öffentlicher"
Räume, wie auch digitaler Informationskanäle, immer
vollständiger durch miteinander vernetzte Erkennungsysteme
aufgezeichnet und ausgewertet werden. Durch "Dataveillance",
also der Erstellung von Verhaltens-, Bewegungs- und Konsumprofilen
durch die erfaßten Informationen wird es möglich
sein, weite Teile der Bevölkerung in ihrem Verhalten
zu de-anonymisieren und kontrollierbar zu machen. Ob zudem
ein solches "Zeitalter der Überwachung"( Olaf
Arndt, in: Ästhetik und Kommunikation Nr. 111) bereits
im Begriff ist, durch eine freiwillige Selbstkontrolle der
Menschen abgelöst zu werden, ist vielleicht eine verfrühte
Feststellung. Genügend Anzeichen für eine solche
Entwicklung gibt es bereits, angefangen bei der freudigen
Selbstaufzeichnung durch Webcams oder dem Erfolg neuerer Fernsehformate
wie "Big Brother".
Nach einer kurzen Phase der Planung und des Ideenaustauschs
wurde die eigentliche Projektarbeit aufgenommen. Unter dem
Namen "Aktuelle Kamera" soll die zunehmende visuelle
Überwachung durch Videokameras sichtbar gemacht und dieser
Prozeß dokumentiert werden. Die Ergebnisse wurden hierbei
fortlaufend auf der Projektwebsite veröffentlicht. Als
Kernstück wurde die Idee einer Kartografierung entwickelt,
die zum einen eine Übersicht über Lage, Funktion
und Technik der Kameras im sogenannten "öffentlichen"
Raum vermitteln, zum anderen auf die gesammelten visuellen,
technischen und inhaltlichen Informationen verweisen soll.
Für das Suchen und Aufzeichnen der Kamerastandorte wurden
mehrere Rundgänge organisiert und die Bremer Innenstadt
erwandert. Diese Begehungen wurden per Flyer und eMail-Verteiler
bekannt gemacht und Interessierte eingeladen, sich an der
Informationssammlung zu beteiligen. Ausgestattet mit diversen
analogen und digitalen Hilfsmitteln wie Ferngläser, digitalen
Video- und Fotokameras, Notizblöcken und Leitern wurden
die Rundgänge dokumentiert und eine erste provisorische
Übersichtskarte erstellt. Diese Versuche einer Visualisierung
und einer Bestandsaufnahme werden begleitet durch die Sammlung
von Hintergrundinformationen und inhaltlichen Beiträgen,
die zum Teil von Mitgliedern der Gruppe erstellt, zum Teil
auf Anfrage beigesteuert wurden. Ursachen und Auswirkungen
elektronischer Überwachung sollten so beleuchtet werden
und der Vermittlung von Einschätzungen und Diskussionen
dienen.
Das Projekt "Aktuelle Kamera" wird von sieben bis
zehn Leuten mit dem Hintergrund unterschiedlicher politischer,
künstlerischer und netzbezogener Interessen getragen.
Unter anderem sind dies Mitglieder von Gruppen, der Bremer
Ableger des Chaos Computer Clubs, der politischen Kommunikationsgruppe
Kombo(p), der Gruppe city.crime.control, die sich mit der
Entwicklung des städtischen Raums auseinandersetzt und
der mittlerweile aufgelösten "Initiative gegen die
(Uni-) Chipkarte". (In Bremen wird die sog.BürgerInnenKarte
entwickelt, eine multifunktionale Chipkarte, die in den verschiedensten
alltäglichen Situationen, wie Behördengänge,
Kommunikation mit Ärzten und Krankenkassen, Zahlungsfunktion
zum Einsatz kommen soll.) Einzelne Bestandteile der Planung
spiegeln daher auch die jeweiligen Interessensschwerpunkte
der Projektbeteiligten wieder. Aus der heterogenen Projektform
ergeben sich aber auch
einige Schwierigkeiten, angefangen bei trivialen Verständigungsproblemen
bis zu dem Umstand, daß kontinuierlich ein Ausgleich
verschiedener Interessen und Kompetenzen gesucht werden muß.
Ähnliche temporäre Projekte hat das Critical Art
Ensemble (CAE) in einem ihrer Texte genauer untersucht und
sie als "Koalition" definiert, also "eine Organisationsform,
die Leute aus verschiedenen Subsystemen, die ein gemeinsames
Interesse teilen, zusammenbringt" um für eine gewisse
Zeit zusammenzuarbeiten(CAE). Eine solche "solidarity
through difference" birgt die Chance, sich über
den eigenen Kontext hinaus und im Austausch mit den anderen
Beteiligten zu betätigen. In einigen Diskursen wird diesen
und anderen (Selbst-) Organisationsformen mit Ablehnung begegnet,
da diese in den
letzten Jahren "am gründlichsten von den heutigen
Machtinstanzen, gegen die sie anfänglich gerichtet waren,
angeeignet worden" sind. (Christian Höller, in:
Material Nr. 6 ) Dieser Umstand ist durchaus richtig und erfordert
eine Neubestimmung grundlegender Überlegungen. Dennoch
sind solche Ansätze weiterhin eine "funktionsfähige"
(CAE) Alternative zu einer individuellen Praxis. Außerdem
verbietet eine Adaption dieser Methoden durch kapitalistische
Systeme nicht automatisch ihre Anwendung und Weiterentwicklung.
Auch wenn von Anfang klar war, daß das Internet als
Medium genutzt werden sollte, so hatte diese Entscheidung
weniger die Motivation, sich mit dem Netz und seinen spezifischen
Eigenschaften auseinanderzusetzen. Vorrangig waren eher praktische
Gründe. Ein großer Teil der Beteiligten ist bereits
seit längerem im Netz aktiv und ist mit den nötigen
technischen Mitteln vertraut. So werden verschiedene Techniken
wie Webdesign, Programmierung, Textproduktion, Digitalvideo
und Fotografie taktisch genutzt, um schnell und kostengünstig
Inhalte veröffentlichen zu können. Über ein
einfaches, bislang noch nicht ganz fertiges Eingabesystem
ist es allen Mitgliedern des Projekts möglich, neue Seiten
ins Netz zu stellen. Außerdem wurde Elemente realisiert,
welche die Teilnahme am Projekt von Außenstehenden unterstützen
- sei es durch die gezielte Abfrage von Informationen durch
Abfragemodule oder das Einspeisen von Informationen, beispielsweise
die Meldung gesichteter Überwachungsanlagen über
ein Eingabeformular. Bei der Entwicklung der grafischen Oberfläche
der Website wurde versucht, eine eigenständige Navigation
zu entwickeln. Statt einer Menüleiste wird am Anfang
jeder Seite eine vereinfachte Rasterkarte ausgegeben, die
den aktuellen Umfang der gesamten Site widerspiegelt. Veränderungen,
wie neue Seiten, werden automatisch in diese Struktur übernommen.
Durch die räumliche Verteilung der einzelnen Rasterpunkte
ist eine Zuordnung der einzelnen Seiten zu bestimmten Bereichen
wie Bilder, Texte oder Karten optisch nachvollziehbar.
Bislang hat die Website den Entwicklungsstand einer frühen
"Version 0.1", entsprechend ist auch die Eingangsseite
bezeichnet. Als ein Ergebnis der bisherigen Arbeit haben sich
einige Anknüpfungspunkte mit Initiativen in Deutschland
und anderen Ländern entwickelt, die mit unterschiedlichen
Ansätzen ebenfalls in dieser Richtung aktiv sind. Mögliche
gemeinsame Aktivitäten sind derzeit in der Diskussion.
Daneben wäre es möglich die Website zu erweitern,
bis hin zu dem, in Entwicklung befindlichen automatisierten
Informationsystem, welches mit einer datenbankgestützten
Karte gekoppelt werden soll. Schließlich gibt es Überlegungen,
auch weiterhin in der analogen Welt durch symbolische oder
konkrete Aktionen, durch Plakate, Flyer oder andere Medien
gegen die visuelle Überwachung aktiv zu sein.
Aktuelle Kamera:
Web: www.aktuelle-kamera.org.
Kontakt: info@aktuelle-kamera.org
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