TETRAPAK
PLUS EINS

Projektberichte / Texte

 

 
Tetra Pak plus eins
ein Diskussionszusammenhang
  Selbst / Bilder Projekt I. HipHop
von Anke Haarmann

Kulturelle Produzenten
von Jelka Plate und Malte Willms
> www.aktuelle-kamera.org
(Version 0.1)
von Ulf Treger
  Zu einer nicht-ästhetischen Kunstphilosophie (Ausschnitt)
von Harald Lemke
   
 
    Tetrapak | April 2001
 

aufkleber aktuelle kamera

www.aktuelle-kamera.org
Version 0.1

von Ulf Treger

Im Frühjahr letzten Jahres wurde in Bremen mit der Arbeit an einem webbasierten Projekt begonnen, daß sich mit der fortschreitenden Entwicklung einer "Kontrollgesellschaft" am Beispiel der Videoüberwachung auseinandersetzt.

Im Folgenden sollen einige Bedingungen dieser Projektarbeit skizziert werden.
Zwei Aspekte spielen dabei eine hauptsächliche Rolle. Zum einen der Versuch einer politischen Betätigung, ohne sich dabei auf allzu abgenutzte Pfade zu beschränken. Und zum anderen die Entwicklung einer (optischen) Plattform unter der spezifischen Nutzung des Mediums Internet. Diese Plattform ermöglicht eine flexible, experimentelle und im besten Fall für die weitere Entwicklung offene Basis, auf der sich die Produktion von Texten, Bildmaterial und anderen Informationen zu einem als relevant empfundenen Thema abbilden kann. Ein solcher offener Ansatz ermöglicht zudem das Engagement verschiedener Menschen - verschieden in ihren praktischen Fähigkeiten, ihrem Background und ihren inhaltlichen Ansätzen - die sich für einen bestimmten Zeitraum zusammen gefunden haben.

Bei der Planung des Projekts war es Konsens, keine Kampagne im klassischen Sinne initiieren zu wollen. Der Ansatz des Projekts entspringt auch einer vorsichtigen oder gar unsicheren Einstellung gegenüber dem heutigen Sinn und Zweck gesellschaftlichen Engagements. Nicht daß es keine ausreichende Anzahl von Gründen gäbe, kritisch in soziale oder gesellschaftliche Prozesse einzugreifen. Vielmehr kann von einem gewissen Verbrauch an Perspektiven und taktischen Mitteln ausgegangen werden - zumindest wenn eine zum Ritual oder Reflex verkommene politische Praxis vermieden werden will. Die "Aktuelle Kamera” soll daher auch nicht eine umfassende Antwort auf die Entwicklung liefern oder eine nicht vorhandene politische oder kulturelle Gegenbewegung ersetzen. Sie will aber eine Plattform entwickeln, um eine Auseinandersetzung - über den Teilbereich Videoüberwachung hinaus - anzuregen: Denn in naher Zukunft wird die Nutzung "öffentlicher" Räume, wie auch digitaler Informationskanäle, immer vollständiger durch miteinander vernetzte Erkennungsysteme aufgezeichnet und ausgewertet werden. Durch "Dataveillance", also der Erstellung von Verhaltens-, Bewegungs- und Konsumprofilen durch die erfaßten Informationen wird es möglich sein, weite Teile der Bevölkerung in ihrem Verhalten zu de-anonymisieren und kontrollierbar zu machen. Ob zudem ein solches "Zeitalter der Überwachung"( Olaf Arndt, in: Ästhetik und Kommunikation Nr. 111) bereits im Begriff ist, durch eine freiwillige Selbstkontrolle der Menschen abgelöst zu werden, ist vielleicht eine verfrühte Feststellung. Genügend Anzeichen für eine solche Entwicklung gibt es bereits, angefangen bei der freudigen Selbstaufzeichnung durch Webcams oder dem Erfolg neuerer Fernsehformate wie "Big Brother".

Nach einer kurzen Phase der Planung und des Ideenaustauschs wurde die eigentliche Projektarbeit aufgenommen. Unter dem Namen "Aktuelle Kamera" soll die zunehmende visuelle Überwachung durch Videokameras sichtbar gemacht und dieser Prozeß dokumentiert werden. Die Ergebnisse wurden hierbei fortlaufend auf der Projektwebsite veröffentlicht. Als Kernstück wurde die Idee einer Kartografierung entwickelt, die zum einen eine Übersicht über Lage, Funktion und Technik der Kameras im sogenannten "öffentlichen" Raum vermitteln, zum anderen auf die gesammelten visuellen, technischen und inhaltlichen Informationen verweisen soll. Für das Suchen und Aufzeichnen der Kamerastandorte wurden mehrere Rundgänge organisiert und die Bremer Innenstadt erwandert. Diese Begehungen wurden per Flyer und eMail-Verteiler bekannt gemacht und Interessierte eingeladen, sich an der Informationssammlung zu beteiligen. Ausgestattet mit diversen analogen und digitalen Hilfsmitteln wie Ferngläser, digitalen Video- und Fotokameras, Notizblöcken und Leitern wurden die Rundgänge dokumentiert und eine erste provisorische Übersichtskarte erstellt. Diese Versuche einer Visualisierung und einer Bestandsaufnahme werden begleitet durch die Sammlung von Hintergrundinformationen und inhaltlichen Beiträgen, die zum Teil von Mitgliedern der Gruppe erstellt, zum Teil auf Anfrage beigesteuert wurden. Ursachen und Auswirkungen elektronischer Überwachung sollten so beleuchtet werden und der Vermittlung von Einschätzungen und Diskussionen dienen.

Das Projekt "Aktuelle Kamera" wird von sieben bis zehn Leuten mit dem Hintergrund unterschiedlicher politischer, künstlerischer und netzbezogener Interessen getragen. Unter anderem sind dies Mitglieder von Gruppen, der Bremer Ableger des Chaos Computer Clubs, der politischen Kommunikationsgruppe Kombo(p), der Gruppe city.crime.control, die sich mit der Entwicklung des städtischen Raums auseinandersetzt und der mittlerweile aufgelösten "Initiative gegen die (Uni-) Chipkarte". (In Bremen wird die sog.BürgerInnenKarte entwickelt, eine multifunktionale Chipkarte, die in den verschiedensten alltäglichen Situationen, wie Behördengänge, Kommunikation mit Ärzten und Krankenkassen, Zahlungsfunktion zum Einsatz kommen soll.) Einzelne Bestandteile der Planung spiegeln daher auch die jeweiligen Interessensschwerpunkte der Projektbeteiligten wieder. Aus der heterogenen Projektform ergeben sich aber auch
einige Schwierigkeiten, angefangen bei trivialen Verständigungsproblemen bis zu dem Umstand, daß kontinuierlich ein Ausgleich verschiedener Interessen und Kompetenzen gesucht werden muß.

Ähnliche temporäre Projekte hat das Critical Art Ensemble (CAE) in einem ihrer Texte genauer untersucht und sie als "Koalition" definiert, also "eine Organisationsform, die Leute aus verschiedenen Subsystemen, die ein gemeinsames Interesse teilen, zusammenbringt" um für eine gewisse Zeit zusammenzuarbeiten(CAE). Eine solche "solidarity through difference" birgt die Chance, sich über den eigenen Kontext hinaus und im Austausch mit den anderen Beteiligten zu betätigen. In einigen Diskursen wird diesen und anderen (Selbst-) Organisationsformen mit Ablehnung begegnet, da diese in den
letzten Jahren "am gründlichsten von den heutigen Machtinstanzen, gegen die sie anfänglich gerichtet waren, angeeignet worden" sind. (Christian Höller, in: Material Nr. 6 ) Dieser Umstand ist durchaus richtig und erfordert eine Neubestimmung grundlegender Überlegungen. Dennoch sind solche Ansätze weiterhin eine "funktionsfähige" (CAE) Alternative zu einer individuellen Praxis. Außerdem verbietet eine Adaption dieser Methoden durch kapitalistische Systeme nicht automatisch ihre Anwendung und Weiterentwicklung.

Auch wenn von Anfang klar war, daß das Internet als Medium genutzt werden sollte, so hatte diese Entscheidung weniger die Motivation, sich mit dem Netz und seinen spezifischen Eigenschaften auseinanderzusetzen. Vorrangig waren eher praktische Gründe. Ein großer Teil der Beteiligten ist bereits seit längerem im Netz aktiv und ist mit den nötigen technischen Mitteln vertraut. So werden verschiedene Techniken wie Webdesign, Programmierung, Textproduktion, Digitalvideo und Fotografie taktisch genutzt, um schnell und kostengünstig Inhalte veröffentlichen zu können. Über ein einfaches, bislang noch nicht ganz fertiges Eingabesystem ist es allen Mitgliedern des Projekts möglich, neue Seiten ins Netz zu stellen. Außerdem wurde Elemente realisiert, welche die Teilnahme am Projekt von Außenstehenden unterstützen - sei es durch die gezielte Abfrage von Informationen durch Abfragemodule oder das Einspeisen von Informationen, beispielsweise die Meldung gesichteter Überwachungsanlagen über ein Eingabeformular. Bei der Entwicklung der grafischen Oberfläche der Website wurde versucht, eine eigenständige Navigation zu entwickeln. Statt einer Menüleiste wird am Anfang jeder Seite eine vereinfachte Rasterkarte ausgegeben, die den aktuellen Umfang der gesamten Site widerspiegelt. Veränderungen, wie neue Seiten, werden automatisch in diese Struktur übernommen. Durch die räumliche Verteilung der einzelnen Rasterpunkte ist eine Zuordnung der einzelnen Seiten zu bestimmten Bereichen wie Bilder, Texte oder Karten optisch nachvollziehbar.

Bislang hat die Website den Entwicklungsstand einer frühen "Version 0.1", entsprechend ist auch die Eingangsseite bezeichnet. Als ein Ergebnis der bisherigen Arbeit haben sich einige Anknüpfungspunkte mit Initiativen in Deutschland und anderen Ländern entwickelt, die mit unterschiedlichen Ansätzen ebenfalls in dieser Richtung aktiv sind. Mögliche gemeinsame Aktivitäten sind derzeit in der Diskussion. Daneben wäre es möglich die Website zu erweitern, bis hin zu dem, in Entwicklung befindlichen automatisierten Informationsystem, welches mit einer datenbankgestützten Karte gekoppelt werden soll. Schließlich gibt es Überlegungen, auch weiterhin in der analogen Welt durch symbolische oder konkrete Aktionen, durch Plakate, Flyer oder andere Medien gegen die visuelle Überwachung aktiv zu sein.

Aktuelle Kamera:
Web: www.aktuelle-kamera.org.
Kontakt: info@aktuelle-kamera.org

 
 
 
 
 
    < zurück oben ^ nächster text >