KULTURELLE PRODUZENTEN
Beitrag zur Werkleitzbiennale >real world>
von Jelka Plate und Malte Willms
Vom 5.-9. Juli 2000 fand in den Gemeinden Tornitz und Werkleitz
in Sachsen- Anhalt die Werkleitz-Biennale >real work<
mit den Sektionen Bildende Kunst, Performance, Film und Internet
statt.
Ausstellungsort und -situation
Die Werkleitz-Gesellschaft wurde kurz nach der Wiedervereinigung
von Absolventen der Kunsthochschule Braunschweig (Westdeutschland)
gegründet und betreibt das offizielle Medienzentrum Sachsen-Anhalt
(Ostdeutschland) in Tornitz und Werkleitz. Die beiden Dörfer
Werkleitz und Tornitz haben außer einem Heimatmuseum
keine Austellungsräumlichkeiten. Während der Biennale
werden alle öffentlichen Orte und Plätze, wie z.B.
das Gemeindehaus, die Turnhalle, der Jugendclub oder Bushaltestellen
zu Ausstellungsorten. In dieser Situation treffen verschiedene
Publika aufeinander: Künstler und Kunstinteressierte
auf die Dorfbewohner, Stadt-Wessis auf Land-Ossis.
Als wir zur Biennale eingeladen wurden und die Orte zum
ersten Mal besichtigten, stellte sich die Frage, wie wir in
diesen speziellen Verhältnissen agieren könnten:
Als Westkünstler aus der Stadt von Westkulturschaffenden
in Ostdeutschland nach Ostdeutschland auf das Land eingeladen
zu sein.
Bisherige Praxis
Unsere vorhergehende Arbeit in Hamburg war eine konkrete Auseinandersetzung
mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Zwei Jahre lang
waren wir Mitarbeiter im Team der Mission*, einem von Wohnungs-
und Arbeitslosen selbstorganisierten Raum, der sieben Tage
die Woche ein kulturelles Programm sowie alles andere zum
konkreten
Überleben Notwendige, wie z.B. Essen und Kleidung, offeriert.
Mit der Mission entwickelten wir Aktionen und tauchten in
den Konfliktfeldern Innenstadt und Hauptbahnhof auf. Flankierend
organisierten wir Diskussionen in der Mission, welche die
zunehmende Kommerzialisierung und Privatisierung öffentlichen
Raumes und der damit einhergehenden Diskriminierung von sogenannten
Randgruppen wie z.B. Wohnungslosen kritisierten.
Fragestellung für die Biennale
Dieses Interesse, mit Personen aus unterschiedlichen sozialen
Zusammenhängen zu kooperieren und hierfür eine eigene
Öffentlichkeit zu schaffen, verfolgten wir auch für
die Biennale >real work<.
Es war naheliegend, die erhaltene Einladung zur Biennale an
die Bewohner von Werkleitz und Tornitz weiterzugeben. Die
Fragestellung nach den jeweiligen >kulturellen< Identitäten
war der geeignete Anknüpfungspunkt für ein Projekt,
das sowohl die Einwohner der Gemeinden, als auch die Biennale-Besucher
interessieren könnte. Parallel dazu beschäftigten
wir uns mit dem Kunstbegriff des sozialistischen Realismus
und mit der damit verbundenen Kultur im Betrieb
Arbeitsprozeß
Als erstes verteilten wir an alle Haushalte eine Einladung
zu einem Filmabend im Gemeindehaus von Tornitz. Wir zeigten
>Der nackte Mann auf dem Sportplatz<, 1974, von Konrad
Wolf, einem Filmregisseur der DDR . Der Film handelt von dem
Bildhauer Kemmel, der den Auftrag hat, ein Porträt eines
Arbeiters in einem Baubetrieb anzufertigen, dieser "Held
der Arbeit" zeigt aber nur sehr zögerlich Interesse.
Im Anschluß an den Film sprachen wir mit den Besuchern
des Filmabends über die Rolle, die die Biennale in Werkleitz
und Tornitz spielt, sowie über die unterschiedlichen
Arbeitsverhältnisse in der ehemaligen DDR und heutigen
BRD. Einige Mitglieder des Jugendclubs haben den Vorschlag,
den Gemeindesaal während der Biennale selbst als öffentlichen
Ort zu nutzen, direkt aufgegriffen: Sie wollten die Arbeit
des Djs und ihre eigene Partykultur vorstellen, um im Dorf
mehr Akzeptanz dafür herzustellen.
Mit Ernst Finster und Otto Plönnies führten wir
Interviews über die Rolle und Organisation von Kunst
und Kultur in den Betrieben der DDR. Beide waren zu DDR-Zeiten
im Kulturhaus des Niederschachtofenwerks im benachbarten Calbe
tätig. Herr Finster war Leiter des Kulturhauses, verantwortlich
für das dort stattfindende Programm und schrieb einen
Roman über die Geschichte des Betriebes. Herr Plönnies
war Mitglied im Zirkel bildender Künstler und Leiter
des Betriebschors. Wir erhielten von Ihnen Text- und Fotomaterial
aus dieser Zeit. Zusätzlich photographierten wir das
Kulturhaus des Niederschachtofenwerkes, das nach der Wende
zur Diskothek umfunktioniert wurde. Diese wird heute auch
von den Jugendlichen aus Werkleitz und Tornitz besucht.
Die Jugendlichen gaben uns Videos, die sie auf ihren Technoparties
im Jugendclub gefilmt haben. Diese haben wir so geschnitten,
daß das eine Video die Tätigkeit des Djs als handwerkliche
Arbeit, das andere Club- und Partyszenen zeigt. Außerdem
führten wir mit dem lokalen Dj Sven B. und einem der
Partyorganisatoren des Jugendclubs, Ralf Bergmann, Interviews
über Techno, DJing, Arbeit, Freizeit und den DDR Jugendradiosender
DT64.
Kunstbegriffe
Zwei grundsätzlich unterschiedlich Konzepte kultureller
Produktion standen sich gegenüber:
Auf der einen Seite kulturelle Tätigkeiten, die aufgrund
ideologischer Vorstellungen als Teil eines zu verwirklichenden
Parteiprogramms zentralistisch in den Staats-Betrieben der
DDR orgsanisiert waren und dort verwirklicht werden sollten.
Dem historischen Material (z.B. Parteibeschlüsse, Schriften
zur gesellschaftlichen Entwicklung der DDR) war die angestrebete
Verbindung originär-künstlerischer Tätigkeit
mit kreativer, freier und selbstbestimmter Arbeit der werktätigen
Individuen als idealisierte Zielvorstellung zu entnehmen.
Díe Auflösung autonomer Kultur- und Kunstbegriffe,
im Sinne einer von der Realität getrennten Sphäre
als spezifisch-bürgerliche Form von Kunstproduktion und
-
rezeption, ähnelte hierbei der von uns selbst formulierten
Kritik an der Mayorität zeitgenössischer (und in
diesem Sinne westlicher) Kunst. Dies wiederum führte,
vor dem Hintergrund des autoritären Staatskapitalismus
der ehemaligen DDR, zur kritischen Überprüfung ebendieser
Inhalte unsererseits, also letzten Endes zur Infragestellung
der eigenen Praxis. Hinzuzufügen ist, daß die organisierte
und individuelle Umsetzung dieser Form von Kulturpolitik in
der ehemaligen DDR durchaus einige ihrer Prämissen erfüllen
konnte (als Beispiele seien mehrwöchige (bezahlte!) Mal-
und Zeichenkurse für die Werktätigen oder die offiziell-propagierte
Nähe der Künstler zu den Arbeitern durch ihre An-
und Einbindung in die Betriebe genannnt). Die allgemeine Diskreditierung
sozialistischer Kunst- und Kulturpolitk ist daher ebenso in
Frage zu stellen wie zuvor deren Idealisierung.
Auf der anderen Seite die direkte Adaption westlicher Jugendsub-,
Club- und später Mainstreamkultur durch die der Jugendlichen
(die die DDR meist nur aus Erzählungen kennen und somit
als erste Nachwendegeneration bezeichnet werden kann), in
nachholender Entwicklung symptomatisch für die neuen
Bundesländer. Die vermeintlich unreflektierte Aneignung
importierter Codes wurde durch die Gespräche mit den
Jugendlichen widerlegt. Signifikant war der Unterschied der
vorwiegend den Medien und der eigenen Szene entnommenen Formen
von Techno/House etc. zu den zuvor
zentralistisch-verordneten Formen kultureller Aktivitäten
und ihrem Realismus-Dogma.
Die Jugendlichen definieren ihre eigenen Räume und eignen
sich ohne staatliche oder kommunale Unterstützung an.
Dazu gehört die Organisation von (noch) Nonprofit-Parties
ebenso wie die Vernetzung untereinander. Auffallend ist, daß
die Technoszene wiederum eine Parallel-Welt zur täglichen
Arbeitsrealität darstellt. Der Schritt zur Professionalisierung
(das heißt mit Parties Geld verdienen) ist trotzdem
denkbar und wird unter dem Aspekt gesehen, tun zu können,
was man sowieso tun möchte.
Realisierung
Für die Dauer der Biennale wurde der Gemeindesaal von
Tornizt mit Teilen des DDR-Mobiliares von uns zum Ausstellungsraum
umfunktioniert. Man betrat den Raum durch eine kleine Küche,
in der ein Verlaufsdiagramm und Photos zur Entstehung des
Projektes zu sehen waren. Im abgedunkelten Ausstellungsraum
standen die Videobeamprojektionen der DJ- und Clubszenen einer
Diaprojektion der Bilder aus der Kulturarbeit im Niederschachtofenwerk
gegenüber. Über Walkmen konnten sich die Besucher
die oben beschriebenen Interviews mit den kulturellen Produzenten
verschiedener Generationen anhören. Ergänzend gab
es kleine Archive mit Texten und Materialien zu den Themen
DJ-Culture und Betriebskultur in der DDR.
Die Jugendlichen stellten an einem Abend ihr Sound-Equipment
im Gemeindesaal auf. Im Gespräch mit dem Publikum, das
aus Freunden und Verwandten der Jugendlichen, Dorfbewohnern
und angereisten Kunstinteressierten bestand demonstrierte
DJ Sven B. seine Arbeit und beantwortete Fragen zur Technik
des Djing, zu Techno, House und Party-Kultur.
Kurzresumee
Die hergestellte Situation ermöglichte die Auseinandersetzung
mit der Produktion und Rezeption von Kultur an diesem Ort
und deren Veränderung, die exemplarisch für die
ehemalige DDR und die neuen Bundesländer ist. Gleichzeitig
mußten wir die eigene künstlerische Praxis durch
die Konfrontation mit anderen Kunstbegriffen, wie sie in den
Gesprächen und Materialien deutlich wurden, immer wieder
neu formulieren.
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