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    Tetrapak | April 2001
 

kulturelle produzenten

KULTURELLE PRODUZENTEN

Beitrag zur Werkleitzbiennale >real world>

von Jelka Plate und Malte Willms

Vom 5.-9. Juli 2000 fand in den Gemeinden Tornitz und Werkleitz in Sachsen- Anhalt die Werkleitz-Biennale >real work< mit den Sektionen Bildende Kunst, Performance, Film und Internet statt.

Ausstellungsort und -situation
Die Werkleitz-Gesellschaft wurde kurz nach der Wiedervereinigung von Absolventen der Kunsthochschule Braunschweig (Westdeutschland) gegründet und betreibt das offizielle Medienzentrum Sachsen-Anhalt (Ostdeutschland) in Tornitz und Werkleitz. Die beiden Dörfer Werkleitz und Tornitz haben außer einem Heimatmuseum keine Austellungsräumlichkeiten. Während der Biennale werden alle öffentlichen Orte und Plätze, wie z.B. das Gemeindehaus, die Turnhalle, der Jugendclub oder Bushaltestellen zu Ausstellungsorten. In dieser Situation treffen verschiedene Publika aufeinander: Künstler und Kunstinteressierte auf die Dorfbewohner, Stadt-Wessis auf Land-Ossis.

Als wir zur Biennale eingeladen wurden und die Orte zum ersten Mal besichtigten, stellte sich die Frage, wie wir in diesen speziellen Verhältnissen agieren könnten: Als Westkünstler aus der Stadt von Westkulturschaffenden in Ostdeutschland nach Ostdeutschland auf das Land eingeladen zu sein.

Bisherige Praxis
Unsere vorhergehende Arbeit in Hamburg war eine konkrete Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Zwei Jahre lang waren wir Mitarbeiter im Team der Mission*, einem von Wohnungs- und Arbeitslosen selbstorganisierten Raum, der sieben Tage die Woche ein kulturelles Programm sowie alles andere zum konkreten
Überleben Notwendige, wie z.B. Essen und Kleidung, offeriert. Mit der Mission entwickelten wir Aktionen und tauchten in den Konfliktfeldern Innenstadt und Hauptbahnhof auf. Flankierend organisierten wir Diskussionen in der Mission, welche die zunehmende Kommerzialisierung und Privatisierung öffentlichen Raumes und der damit einhergehenden Diskriminierung von sogenannten Randgruppen wie z.B. Wohnungslosen kritisierten.

Fragestellung für die Biennale
Dieses Interesse, mit Personen aus unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen zu kooperieren und hierfür eine eigene Öffentlichkeit zu schaffen, verfolgten wir auch für die Biennale >real work<.
Es war naheliegend, die erhaltene Einladung zur Biennale an die Bewohner von Werkleitz und Tornitz weiterzugeben. Die Fragestellung nach den jeweiligen >kulturellen< Identitäten war der geeignete Anknüpfungspunkt für ein Projekt, das sowohl die Einwohner der Gemeinden, als auch die Biennale-Besucher interessieren könnte. Parallel dazu beschäftigten wir uns mit dem Kunstbegriff des sozialistischen Realismus und mit der damit verbundenen Kultur im Betrieb

Arbeitsprozeß
Als erstes verteilten wir an alle Haushalte eine Einladung zu einem Filmabend im Gemeindehaus von Tornitz. Wir zeigten >Der nackte Mann auf dem Sportplatz<, 1974, von Konrad Wolf, einem Filmregisseur der DDR . Der Film handelt von dem Bildhauer Kemmel, der den Auftrag hat, ein Porträt eines Arbeiters in einem Baubetrieb anzufertigen, dieser "Held der Arbeit" zeigt aber nur sehr zögerlich Interesse. Im Anschluß an den Film sprachen wir mit den Besuchern des Filmabends über die Rolle, die die Biennale in Werkleitz und Tornitz spielt, sowie über die unterschiedlichen Arbeitsverhältnisse in der ehemaligen DDR und heutigen BRD. Einige Mitglieder des Jugendclubs haben den Vorschlag, den Gemeindesaal während der Biennale selbst als öffentlichen Ort zu nutzen, direkt aufgegriffen: Sie wollten die Arbeit des Djs und ihre eigene Partykultur vorstellen, um im Dorf mehr Akzeptanz dafür herzustellen.

Mit Ernst Finster und Otto Plönnies führten wir Interviews über die Rolle und Organisation von Kunst und Kultur in den Betrieben der DDR. Beide waren zu DDR-Zeiten im Kulturhaus des Niederschachtofenwerks im benachbarten Calbe tätig. Herr Finster war Leiter des Kulturhauses, verantwortlich für das dort stattfindende Programm und schrieb einen Roman über die Geschichte des Betriebes. Herr Plönnies war Mitglied im Zirkel bildender Künstler und Leiter des Betriebschors. Wir erhielten von Ihnen Text- und Fotomaterial aus dieser Zeit. Zusätzlich photographierten wir das Kulturhaus des Niederschachtofenwerkes, das nach der Wende zur Diskothek umfunktioniert wurde. Diese wird heute auch von den Jugendlichen aus Werkleitz und Tornitz besucht.

Die Jugendlichen gaben uns Videos, die sie auf ihren Technoparties im Jugendclub gefilmt haben. Diese haben wir so geschnitten, daß das eine Video die Tätigkeit des Djs als handwerkliche Arbeit, das andere Club- und Partyszenen zeigt. Außerdem führten wir mit dem lokalen Dj Sven B. und einem der Partyorganisatoren des Jugendclubs, Ralf Bergmann, Interviews über Techno, DJing, Arbeit, Freizeit und den DDR Jugendradiosender DT64.

Kunstbegriffe
Zwei grundsätzlich unterschiedlich Konzepte kultureller Produktion standen sich gegenüber:
Auf der einen Seite kulturelle Tätigkeiten, die aufgrund ideologischer Vorstellungen als Teil eines zu verwirklichenden Parteiprogramms zentralistisch in den Staats-Betrieben der DDR orgsanisiert waren und dort verwirklicht werden sollten. Dem historischen Material (z.B. Parteibeschlüsse, Schriften zur gesellschaftlichen Entwicklung der DDR) war die angestrebete Verbindung originär-künstlerischer Tätigkeit mit kreativer, freier und selbstbestimmter Arbeit der werktätigen Individuen als idealisierte Zielvorstellung zu entnehmen. Díe Auflösung autonomer Kultur- und Kunstbegriffe, im Sinne einer von der Realität getrennten Sphäre als spezifisch-bürgerliche Form von Kunstproduktion und -
rezeption, ähnelte hierbei der von uns selbst formulierten Kritik an der Mayorität zeitgenössischer (und in diesem Sinne westlicher) Kunst. Dies wiederum führte, vor dem Hintergrund des autoritären Staatskapitalismus der ehemaligen DDR, zur kritischen Überprüfung ebendieser Inhalte unsererseits, also letzten Endes zur Infragestellung der eigenen Praxis. Hinzuzufügen ist, daß die organisierte und individuelle Umsetzung dieser Form von Kulturpolitik in der ehemaligen DDR durchaus einige ihrer Prämissen erfüllen konnte (als Beispiele seien mehrwöchige (bezahlte!) Mal- und Zeichenkurse für die Werktätigen oder die offiziell-propagierte Nähe der Künstler zu den Arbeitern durch ihre An- und Einbindung in die Betriebe genannnt). Die allgemeine Diskreditierung sozialistischer Kunst- und Kulturpolitk ist daher ebenso in Frage zu stellen wie zuvor deren Idealisierung.

Auf der anderen Seite die direkte Adaption westlicher Jugendsub-, Club- und später Mainstreamkultur durch die der Jugendlichen (die die DDR meist nur aus Erzählungen kennen und somit als erste Nachwendegeneration bezeichnet werden kann), in nachholender Entwicklung symptomatisch für die neuen Bundesländer. Die vermeintlich unreflektierte Aneignung importierter Codes wurde durch die Gespräche mit den Jugendlichen widerlegt. Signifikant war der Unterschied der vorwiegend den Medien und der eigenen Szene entnommenen Formen von Techno/House etc. zu den zuvor
zentralistisch-verordneten Formen kultureller Aktivitäten und ihrem Realismus-Dogma.
Die Jugendlichen definieren ihre eigenen Räume und eignen sich ohne staatliche oder kommunale Unterstützung an. Dazu gehört die Organisation von (noch) Nonprofit-Parties ebenso wie die Vernetzung untereinander. Auffallend ist, daß die Technoszene wiederum eine Parallel-Welt zur täglichen Arbeitsrealität darstellt. Der Schritt zur Professionalisierung (das heißt mit Parties Geld verdienen) ist trotzdem denkbar und wird unter dem Aspekt gesehen, tun zu können, was man sowieso tun möchte.

Realisierung
Für die Dauer der Biennale wurde der Gemeindesaal von Tornizt mit Teilen des DDR-Mobiliares von uns zum Ausstellungsraum umfunktioniert. Man betrat den Raum durch eine kleine Küche, in der ein Verlaufsdiagramm und Photos zur Entstehung des Projektes zu sehen waren. Im abgedunkelten Ausstellungsraum standen die Videobeamprojektionen der DJ- und Clubszenen einer Diaprojektion der Bilder aus der Kulturarbeit im Niederschachtofenwerk gegenüber. Über Walkmen konnten sich die Besucher die oben beschriebenen Interviews mit den kulturellen Produzenten verschiedener Generationen anhören. Ergänzend gab es kleine Archive mit Texten und Materialien zu den Themen DJ-Culture und Betriebskultur in der DDR.

Die Jugendlichen stellten an einem Abend ihr Sound-Equipment im Gemeindesaal auf. Im Gespräch mit dem Publikum, das aus Freunden und Verwandten der Jugendlichen, Dorfbewohnern und angereisten Kunstinteressierten bestand demonstrierte DJ Sven B. seine Arbeit und beantwortete Fragen zur Technik des Djing, zu Techno, House und Party-Kultur.

Kurzresumee
Die hergestellte Situation ermöglichte die Auseinandersetzung mit der Produktion und Rezeption von Kultur an diesem Ort und deren Veränderung, die exemplarisch für die ehemalige DDR und die neuen Bundesländer ist. Gleichzeitig mußten wir die eigene künstlerische Praxis durch die Konfrontation mit anderen Kunstbegriffen, wie sie in den Gesprächen und Materialien deutlich wurden, immer wieder neu formulieren.

 
 
 
 
 
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